Datum:  

11.06.1999

Ressort:  

Freizeit

Autor:  

Marion Hughes

Der englische Duft

Berliner Läden (35): Wer bei Lothar Ruff kauft, kann riechen wie die Königin von England

Die Niebuhrstraße in Charlottenburg ist eine ruhige Straße. Hohe Bäume wölben sich über die Fahrbahn, nur selten tuckert ein Auto hindurch, und vormittags hört man sogar das Zwitschern der Vögel. Die Großstadt hastet rechts und links vorbei, auf der lauten Kantstraße und dem noblen Kurfürstendamm. Spaziergänger verirren sich kaum hierher. Es gäbe ja auch nichts zu entdecken, wäre da nicht "The English Scent". Der kleine Laden von Lothar Ruff ist das einzige Geschäft auf dem Kontinent, in dem es Parfüms und Toilettenartikel von englischen Firmen gibt, deren Geschichte nicht selten bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht und die so wohlklingende Namen tragen wie Floris, Woods of Windsor, Harris, Trumper oder Penhaligon s.

Schon auf der Straße kann man es riechen, ja selbst bei geschlossener Tür schwebt vor dem Geschäft eine Wolke aus Maiglöckchen, Sandelholz und Bergamotte. Unwillkürlich bleibt man stehen und atmet tief das Aroma ein: Vanille, Lavendel, Jasmin duftete es nicht so in den Schränken der Großmutter?

Alles kommt direkt aus London: Toilet Water, Perfume Spray, Bath & Shower Gel, Seifen, Kämme, Haarbürsten. Buschige Rasierpinsel aus Dachshaar und edle Schalen aus Mahagoni stehen neben schlichten Flacons, die mit grünen, gelben und blauen Duftwässerchen gefüllt sind und deren Namen wie Countrymusic klingen: Bluebell, Lily of the Valley, The Language of Flowers. Auf flachen Pappkartons wuchern pinke und lila Streublümchen, drei zitronengelbe Seifenstücke ruhen in einer Holzschatulle, elegante Damenhände halten Sommerblumensträuße. True Love. Die Zeit steht still, in diesem duftenden Paradies.

Der Laden ist nur flüchtig eingerichtet. Vor den weißgetünchten Wänden lehnen Bücherschränke, in denen Flacons und Flaschen Spalier stehen. Es gibt einen alten Sekretär und ein dazu passendes Tischchen. Auf einem Mittelfußtisch liegen Rasiermesser, Necessaires und elfenbeinfarbene Kämme zu horrenden Preisen. Wer braucht eine Haarbürste für 350 Mark? "Es gibt Leute, die legen so etwas in ihr Gästezimmer", sagt Lothar Ruff.

Er hat sich in einer Nische hinter seinem Schreibtisch versteckt. Die Brille mit den halben Gläsern scheint mit der Nase verwachsen, wache hellblaue Augen blinzeln darüber hinweg. Wenn Lothar Ruff redet, dehnt er manchmal die Worte, um ihnen Bedeutung zu verleihen: "Viele aaaalte englische Firmen sitzen in London in der Jermyn Street. Das ist ein richtiger Kosmos, der hierzulande gaaaar nicht bekannt ist." Vor fünf Jahren hat der ehemalige Dramaturg des Berliner Renaissance Theaters sein Geschäft eröffnet. Niemand hätte einen Pfifferling gegeben für diese Idee, sagt Lothar Ruff, "aber ich habe mir gedacht, ich versuch s Ich habe es nicht bereut."

Seine Leidenschaft für die englischen Düfte begann vor 30 Jahren. Lothar Ruff entdeckte in London die Firma Floris. Seit 1730 existiert das Geschäft, so alt sind auch die meisten der Rezepturen, nach denen bis heute gearbeitet wird. Die Kundschaft ist von blauem Blut, der Titel "Hoflieferant" adelt. Mit diesem Titel schmücken sich fast alle Firmen, von denen Lothar Ruff seine Waren bezieht. Doch auch wer nicht wie die Königin von England, Prince Charles oder der Duke of Edinburgh riechen möchte, sollte in "The English Scent" ruhig mal reinschnuppern: Maria Callas Lieblingsparfum steht im Regal, das Rasierwasser von Gary Cooper und das Eau de Toilette von Chaplin und Churchill.

Von Anfang an existierte neben dem Laden der Versandhandel: Düfte englischer Hoflieferanten, Katalog anfordern!, steht bis heute in Anzeigen, mit denen Lothar Ruff um neue Kunden wirbt. Der Katalog ist ein opulentes Nachschlagewerk in britisch Grün. "The Art of Grooming" steht in goldenen Lettern auf dem Einband, was frei übersetzt soviel wie "Die Kunst sich zu striegeln" heißt. "Jemand, der sich morgens striegelt und pflegt, hat ein anderes Selbstwertgefühl", sagt Lothar Ruff. Seine Kunden seien in ganz Deutschland zu Hause, in Los Angeles, auf den Philippinen und im Libanon. Es seien Individualisten, die genug haben vom Überfluß, die sich auf Tradition besinnen, "und das", betont der Ladenbesitzer, "hat nichts mit Geld zu tun." Für 29,50 Mark kann man ein Eau de Cologne bei ihm kaufen, aber auch 100 ml "Pot Pourri Toilet Water" von John Bull für 225 Mark.

In den Laden kommen manchmal nur drei, vier Kunden am Tag, um die kann er sich richtig kümmern. Einmal hat er sich zweieinhalb Stunden Zeit für eine Kundin genommen. Ihr Geschäft gehört auf den Kudamm, hat die Dame beim Abschied gesagt. Glauben Sie, hat er geantwortet, am Kudamm hätte ich Zeit, Ihnen zweieinhalb Stunden Parfüm zu zeigen? Irgendwie geht es Lothar Ruff wie seinen Düften, von denen er sagt, sie blühen nur im verborgenen.

The English Scent, Niebuhrstr. 10, 10629 Berlin, Tel./Fax: 030/3 24 46 55, E-mail: TheEnglishScent@t-online.de